Handout zur Vorlesung
Das Sozialsystem I
Das Sozialwesen der Bundesrepublik Deutschland
Ende des 19. Jhs. legte die Bismarcksche Sozialversicherungspolitik den Grundstein für die deutsche Sozialpolitik:
- Krankenversicherung 1883
- Unfallsversicherung 1884
- Alters- und Invalidenversicherung 1889
- Später: Arbeitslosenversicherung (1927)
- Art. 20 im Grundgesetz: Deutschland als "demokratischer und sozialer Rechtsstaat": d.h.:Verpflichtung des Staates, für soz. Gerechtigkeit, Schutz der Schwächeren und Gleichheit der Ausbildungs- und Berufchancen zu sorgen
- vgl. auch Wirtschaftsordnung: soziale Marktwirtschaft (nicht freie Marktwirtschaft). Wichtiges verteilungspolitisches Grundprinzip: soz. Leistungen sind nach der Leistungsfähigkeit des Einzelnen zu verteilen. Das bedeutet:
1. Finanzieller Schutz von Menschen mit eingeschränktem Leistungsvermögen (Ausgleichsmaßnahmen)
2. Die Höhe vieler soz. Leistungen hängt davon ab, wie groß die Leistungsbereitschaft und das Leistungsvermögen des Einzelnen in seinem Arbeitsleben gewesen sind.
- Im sozialen Bereich (wie bei den wirtsch. Freiheitsrechten) gibt es wichtige gesamtwirtschaftliche Zielsetzungen:
1. Prinzip der soz. Sicherheit
2. Prinzip der soz. Gerechtigkeit
3. Prinzip des soz. Fortschritts
Zu 1: Absicherung der Menschen vor den sog. Wandlungen des (Arbeits)Lebens: Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung sowie die Sozialhilfe. Auch: Arbeitsplatzförderung und Weiterbildung.
Zu 2: eine sozial akzeptable Verteilung der Einkommen und Vermögen. Schwierigkeit: Welche Verteilung kann als akzeptabel angesehen und welche muß als sozial unakzeptabel abgelehnt werden?
Lorenzkurve:
75% der priv. Haushalte: 57% aller Nettoeinkommen
25% der priv. Haushalte: 43% aller Nettoeinkommen (1988)
Ist das politisch akzeptabel?
Teilung der Einkommen zw. Leistungsstarken und Leistungsschwachen oder Belohnung der Leistungsstarken und Leistungswilligen? Leistungsgerechtigkeit
Zu 3: dynamische Zielsetzung - ähnlich dem Wirtschaftswachstum in der Ökonomie. Soz. Sicherheit und Gerechtigkeit sollen verbessert werden: Beispiele: Renten wachsen im Verhältnis zur Lohnentwicklung, Ausgleichsmaßnahmen, Hebung der Armutsgrenze usw.
Sozialpolitik = Umverteilungspolitik: Verteilungsprinzipien:
1. Bedarfsprinzip: individueller Bedarf: was braucht der Einzelne
2. Egalitätsprinzip: mehr soziale Gerechtigkeit nicht individuell, sondern das Gleiche für alle.
3. Leistungsprinzip: Einkommen des Einzelnen wird von seiner Leistungsfähigkeit abhängig gemacht. Der Markt allein regelt, wie die individuelle Leistungsfähigkeit bewertet wird.
Wie weit die Aufgaben der soz. Rechtstaates verwirklicht werden, ist eine ganz andere Sache
Soziales Netz: "Niemand kann finanziell ins Bodenlose fallen"
- die Maschen können sowohl als zu groß als zu eng verstanden werden
Relevanter Meßwert der Sozialleistungen: Prozentsatz des Bruttosozialprodukts, der jährlich für die gesamten Sozialleistungen ausgegeben wird: Er betrug in den letzten Jahren über 30% - d.h etwa 1/3 aller von der Volkswirtschaft erzeugten Dienstleistungen und Produkten (1975: 33,7%, 1985: 31,2%, 1992: 33,1%)
1.7.90: Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion: Hierdurch sind die Kosten für den Sozialstaat weiter gestiegen - in der ehem. DDR gab es beispielsweise keine Arbeitslosenversicherung.
Das System der soz. Sicherung kann nach folgende Arten gegliedert werden:
1. Versicherung (Risiken mindern: Renten-, Kranken-, Unfallversicherung usw.)
2. Versorgung (Ausgleich von Schäden, z.B. Kriegsopfer)
3. Sozialhilfe (Empfänger sind meistens Personen, deren Versorgung durch eigene Kraft unzureichend ist, gleichgültig, ob die Notlage durch eigenes Verschulden entstand oder nicht (z.B. Arme)
Die gewaltigen Kosten für die Sozialversicherungen und die anderen Sozialleistungen tragen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu gleichen Teilen.
Sozialversicherungen:: Krankenversicherung: 6,7% des Bruttoeinkommens, Rentenversicherung: 10,15%, und Arbeitslosenversicherung 3,25% = über 20% des Bruttoeinkommens.
Verschiedene Sozialversicherungen und Sozialleistungen
Krankenvesicherung:
- Pflichtversicherung: bis zu 5300 DM (1993) pro Monat - gesetzliche Krankenversicherung (AOK). Man kann eine private Zusatzversicherung abschließen, um z.B. im Krankenhaus ein Einzelzimmer zu erhalten.
- Privatversicherung: Über 5400 DM (1993) pro Monat- man kann sich ganz privat versichern lassen.
- Diese Vesicherung gilt: Krankenhaus, Arzt, Zahnarzt, Medikamente, Optiker, Kuraufenthalte, Mutterschaftsleistungen (s.u.) usw.
- Im Krankheitsfall: Krankengeld (voller Lohn) 6 Wochen vom Arbeitgeber, dann 78 Wochen mit 80% - von der Krankenkasse. Beamte erhalten vollen Lohn auf unbegr. Zeit.
Mutterschaftsleistungen
1. Schwangerschaftsurlaub: 6 Wochen vor und 8 Wochen nach Entbindung (14 Wochen)
2. Mutterschaftsgeld, Schwangerschafts- und Wochengeld:
14 Wochen: voller Lohn
15. Woche - 6. Monat: ca. 770 DM
3. Einmalige Hilfen: 100 DM Entbindungspauschale
150 DM Mutteschaftsgeld
-Für jedes Kind, das sie geboren oder adoptiert hat, wird der Frau in der BRD drei Rentenversicherungsjahre (1993) ausgerechnet.
- Krankheit eines Kindes: man kriegt Krankengeld 7-10 Tage
Kindergeld
- steuerfrei, bis 27
- 1. Kind: 220 DM
- 2. Kind: 220 DM
- 3. Kind: 300 DM
- 4., 5., 6., 7........Kind: 350 DM
Rentenversicherung/Altersversorgung
(Arbeitnehmer + Arbeitgeber)
Berechnung von Renten: 70% des letzten Nettoeinkommens:
- Bis zu einem Einkommen von 7200 DM (1993) ist jeder Arbeitsnehmer plichtversichert
- Nettorente. Erst bei Renten über 4000 DM: geringe Steuer
- Für die Krankenversicherung bezahlen die Rentner seit 1985 5% Steuer - doch nicht die niedrigsten Renten
- Die Rente - dynamisch, sie steigt wie die Löhne.
- Zusatzversicherungen möglich (privat)
- Oft Betriebsrente (meistens vom Arbeitgeber finanziert)
- Witwen, die Zeit ihres Lebens Hausfrauen waren, erhalten 2/3 der Rente des verstorbenen Mannes.
- Bei einer Scheidung, wo die Frau nicht berufstätig war: Teilung der Rente des Mannes (je nach Zahl der Ehejahre)
Arbeitslosenversicherung
- 3,25% vom Bruttoeinkommen der Arbeiter und Angestellten
- Beamte zahlen nichts
- Arbeitslosigkeit verdoppelte sich 1975-1985, über 8%, zur Zeit besonders groß in den neuen Bundesländern
- Wird ein Arbeiter oder ein Angestellter arbeitslos, erhält er zunächst ein Arbeitslosengeld, das 63-68% des Nettolohnes beträgt.
- Der arbeitslose Angestellte oder Arbeiter, der mindestens 2 Jahre versichert war, erhält das Arbeitslosengeld mindestens ein Jahr lang.
- Die maximale Anspruchsdauer ist nach Betriebsjahren und Alter gestaffelt. Danach folgt die Arbeitslosenhilfe: 57% des Nettolohnes. Wenn die Grenze des staatl. Existensminimums unterschritten wird: Anspruch auf Sozialhilfe
Unfalls- und Pflegeversicherung
siehe eigenes Blatt
Sozialhilfe
- Letzter Ausweg
- 1996: 50 Milliarden DM
- Pro Person: eine bestimmte Summe + Mietzuschuß (Telefonkosten)
Die Summe ist von Lohn- und Preisniveau abhängig.
Steuern und Sozialabgaben
Lohnsteuer ca 20 % (Max. 53%) des Bruttoeinkommens
Sozialabgaben (Sozialversicherungen): 20%
Durchschnittliche Steuerbelastung: 38% (ohne die Sonderabgabe an die neuen Bundesländer 7,5%)
In Wirklichkeit bezahlt man nur 33% Steuern - eine Reihe von Abkürzungen des steuerpflichtigen Einkommens, z.B: Grundfreibetrag (neue Steuerregelung 1996) und Kinderfreibetrag
Kirchensteuer: 1.5%, freiwillig
Mehrwertsteuer: 16% (1.4.98) (Forderung der EU)